Welche Arbeit braucht der Mensch?

von 21. März 2009

(ens) Am Samstagmittag wurde im Freylinghausensaal der Franckeschen Stiftungen in Halle (Saale) das diesjährige stadtweite kulturelle Themenjahr “Arbeitswelten” eröffnet. Nachdem im letzten Jahr der Umgang mit der Zeit in einem stadtweiten Veranstaltungsprogramm betrachtet wurde, steht 2009 das Thema „Arbeit“ auf dem Prüfstand: Wie werden sich in Zukunft unsere „Arbeitswelten“ gestalten? Bis Dezember 2009 gibt es in mehr als 200 Veranstaltungen umfassende Rück-, Ein- und Ausblicke auf dieses aktuelle Thema. Vorträge, Diskussionsforen, Ausstellungen, Lesungen, Theater- und Kunstprojekte und vieles mehr sind geplant.

“Arbeitswelten”, ein hochaktuelles Thema, wie Stiftungsdirektor Thomas Müller-Bahlke befand. “Bislang war noch kein Themenjahr so politisch aufgeladen. Aber in der Brisanz liegt der Reiz.” Schwerpunkte liegen in diesem Jahr auf der Erwerbsarbeit, dem bürgerschaftlichen Engagement und der Fürsorge. “Möge dieses Themenjahr zu Diskussionen und Ergebnissen führen.”

Ministerpräsident Wolfgang Böhmer ging in seiner Rede darauf ein, dass das Thema Arbeit und Arbeitswelten nicht nur ein ökonomisches, sondern auch ein kulturelles Thema ist. Die kulturelle Bedeutung der Arbeit führe zu Probleme. Mit der Industrialisierung habe es jedoch einen Bedeutungswandel der Arbeit gegeben. Es gebe kaum noch eine Identifikation mit dem Endprodukt, durch die Fließbänder und die Teilung verschiedener Arbeitsschritte habe eine Entfremdung stattgefunden. Doch gerade der Mangel an Arbeit habe uns wieder bewusst gemacht, “wie sehr wir sie um unserer selbst willen brauchen.” Die Arbeit habe einen eigenen, sittlichen Wert, eine sinngebende Bedeutung für das eigene Leben, so Böhmer. Lange habe man deshalb bei der Aufstellung der ersten Verfassung für das Land Sachsen-Anhalt nach der Wende überlegt, das Recht auf Arbeit hineinzuschreiben. “Wir fanden das alle gut.” Letztendlich habe man sich aber dagegen entschieden, weil man keine leeren Phrasen habe hineinschreiben wollen. Heute nun sei man bestenfalls in der Lage, Menschen ohne Arbeit mit Geld ruhig zu stellen. Doch den Sinn, den viele in einer Tätigkeit sehen, soll nun den Arbeitslosen durch Bürgerarbeit zurückgegeben werden. Dabei stehe nicht der materielle Zugewinn im Vordergrund, sondern der Zugewinn an zwischenmenschlicher Integration: “Ich bin für was nütze.” Während seiner Rede sprach sich Böhmer erneut gegen einen Mindestlohn aus. Solange die Menschen nur das preiswerteste kaufen, brächten Mindestlöhne gar nichts außer wirtschaftlichen Konsequenzen für den Export. Ein gesetzlich festgelegter Mindestlohn wäre laut Böhmer nur über parallel einzuführende Mindestpreise realisierbar. Halles Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados hingegen sprach sich für den Mindestlohn aus. “Menschen die einer Erwerbsarbeit nachgehen müssen von ihrem Lohn auch ihre Familien ernähren können.” In Halle ist das nicht immer der Fall. Fast die Hälfte aller knapp 30.000 Hartz-IV-Empfänger sind so genannte “Aufstocker”, also Menschen, die zwar aber gehen, aber zu wenig verdienen.

Den Festvortrag „Welche Arbeit braucht der Mensch?“ hielt die Sozialwissenschaftlerin und renommierte Buchautorin Prof. Dr. Marianne Gronemeyer aus Wiesbaden. Sie brachte die These hervor, dass bezahlt Arbeit verdorben ist. Es gebe zwar noch gute Arbeit, aber nicht für Geld. “Gute Arbeit”, das ist für Gronemeyer solche, die nicht schadet, sondern nützt. Doch was schadet? Die Auffassung darüber kann unterschiedlich sein. Gronemeyer dürfte mit ihrem Vortrag die anwesenden zum Nachdenken gebracht haben. “Wer nicht arbeitet, schädigt die Welt weniger.” Denn wer arbeite, stelle seine Arbeitskraft in den Dienst des großen “Weltverbesserungsprojekts“ der Moderne. Und eben jenes wolle in Wahrheit unsere Lebensgrundlagen vollständig zerstören. Es sei an der Zeit, über Alternativen nachzudenken. Zum Beispiel Eigenarbeit. Jeder produziert das, was er selbst arbeitet. Ein deutlicher Unterschied zur Erwerbsarbeit, bei der man abhängig von dem ist, was man als Entlohnung bekommt. Ein radikales Umdenken ist laut Gronemeyer notwendig, um aus diesem Würgegriff herauszukommen. “Wir können die Freiheit nur zurückerlangen, wenn wir den Geldbedarf einschränken.” Doch: die Arbeit ist in gewissem Maße heilig. Das hat für die Publizistin auch einen Grund: “Die Arbeit ist künstlich verknappt. Wir leben in einer Welt, in der alles was knapp ist verehrt und alles was im Überfluss vorhanden ist als minderwertig angesehen wird.” Ihr Fazit: “Je knapper die Arbeit, desto heiliger.” Aber warum sind nun gerade Arbeitslose weniger schädigend für diese Welt? Sie sind die schlechteren Konsumenten, kaufen (aus Geldmangel) weniger ein und schädigen damit (gerade mit Blick auf knapper werdende Ressourcen) die Welt weniger. Einige Thesen, die bis zum Dezember diskutiert werden können. Das komplette “Arbeitswelten”-Programm lesen Sie auf Seite 2

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Unsichere Zeiten? Arbeitsbiografien und Lebensläufe zu Beginn des 21. Jahrhunderts
3. Mai | Historisches Waisenhaus | MDR Figaro Radio-Café live aus den Franckeschen Stiftungen

Kinder, Krätze, Karitas. Waisenhäuser in der Frühen Neuzeit
17. Mai – 4. Oktober | Historisches Waisenhaus | Jahresausstellung der Franckeschen Stiftungen

(Welche) Arbeit braucht der Mensch?!
2. Juni | LUX Puschkino | Uraufführung von Animationsclips der Hochschule für Kunst und Design

Arbeitswelten
14., 21., 28. Juni | Marktkirche | Predigtreihe zum biblischen Verständnis von Arbeit

Marktplatz ARBEIT
11. Aug | Agentur für Arbeit | Messe mit Jobbörse und vielen Partnern der Region

Schichtarbeit. Arbeitswelten bei Nacht
18. Aug | Unternehmen in Halle | Rundgänge durch Branchen und Betriebe mit Stadtmarketing Halle

Ora et labora – Bete und arbeite
22. Aug | Kirchenkreis Halle | 8. Nacht der Kirchen in Halle

Denkmale für die Arbeit. Wirtschaftsgeschichte im Spiegel der Medaillenkunst
20. Sep – 22. Nov | Kunstmuseum Stiftung Moritzburg | Ausstellung des Landesmünzkabinetts

Der Bürger und seine Stadt
9. Okt | Historisches Waisenhaus | Tagung zur Entwicklung bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland am Beispiel Halles in den Franckeschen Stiftungen

Ringvorlesung Arbeit
Herbstsemester 09/10 | Universitätsplatz | Interdisziplinäre Vortragsreihe der Universität Halle

Lasst mich auch endlich Taten sehen! Arbeit in der Kunst von der Antike bis zur Gegenwart
25. Okt – 4. Dez | Martin-Luther-Universität | Ausstellung im Kupferstichkabinett

Freiwilligenagenturen zeigen Profil
28. – 30. Okt | Historisches Waisenhaus | Bundeskongress der Freiwilligen-Agenturen

Showcase Arbeit
Nov | neues theater | Theaterwochenende der Kulturstiftung des Bundes mit freien Theaterproduktionen aus Deutschland rund um das Thema Arbeit

Vom Harz IV-Empfänger zum Model
5. Nov | Thalia Theater | Theaterprojekt über ungewöhnliche Wege aus der Arbeitslosigkeit

4. Hallenser Gespräch mit Götz Werner
24. Nov. | Franckesche Stiftungen | Gespräch mit dem Unternehmer des Drogeriemarktes „dm“ und Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens

Zur Zukunft unserer Arbeitswelten
2. Dez | Franckesche Stiftungen | Abschlusspodium des Themenjahres